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Der Kranichrastplatz Helmestausee


1. Entwicklung des Rastplatzes Helmestausee

Vor der Anlage des Helmestausees wurde das Gebiet von Kranichen lediglich überflogen bzw. nur gelegentlich zur kurzen Rast genutzt. Bereits MÜLLER (1928) bemerkt dazu: "zuweilen sich verfliegend in die heimischen Niederungen" und RINGLEBEN (1934) bezeichnet die Art als regelmäßigen Durchzügler, der bisweilen im Gebiet rastet. Erste konkrete Meldungen vom Helmestausee datieren bereits unmittelbar nach seiner Entstehung: 20.10.1967 77 Ex. (H. JÄHDE, W. LEHNERT). Übernachtungen kleiner Trupps im abgelassenen Staubecken erfolgten danach nur sporadisch: 01.11.1969 10 Ex. "in der Dämmerung einfallend" (M. HOECHST); 02.11.1969 39 Ex. "im Staubecken einfallend" (K. KARLSTEDT). Die erste eindeutige Erwähnung einer Übernachtung im Staubecken und der mehrtägigen Rast einer größeren Gruppe von 300-400 Ex. im Zeitraum 23.-25.10.1973 geht auf V. DONAU zurück.

Erst im Verlauf der 1970er Jahre traten regelmäßiger kleine und mittlere Rastverbände in der Goldenen Aue auf, deren Kopfstärke allerdings selten 100 Ex. überschritt. Ende der 1970er Jahre kam es häufiger zum Einflug rastender Gruppen, z.B. 20.11.1977 ca. 140 Ex. tagsüber in den Riedwiesen, worauf in der Dunkelheit (17.30 Uhr) eine "größere Anzahl laut rufend von NW kommend" im Stausee einfällt (M. HOECHST, H. WILLEMS). In den 1980er Jahren entwickelte sich dann eine gewisse Tradition zur Nutzung des Rastplatzes durch mehrere hundert Vögel, die allerdings jahresweise noch großen Schwankungen unterlag. So wurden in diesem Jahrzehnt nur vereinzelt Maximalzahlen von mehr als 500 Vögeln registriert: 02.-29.11.1986 550 bis max. 831 Ex. am 15.11. (H. WILLEMS), 21.-29.11.1987 349 bis 979 Ex. (J. KIRCHNER). Dagegen lagen die Rastmaxima in mehreren Jahren noch deutlich unter 500 Ex., z.B. 05.11.1989 102 Ex. (D. KEIL). Die diskontinuierliche Nutzung in den 1980er Jahren ließ aber bereits die Einschätzung zu, dass der Rastplatz am Helmestausee "im Entstehen" ist (PRANGE 1986).

Das regelmäßige Rasten mehrerer tausend Kraniche mit der typischen Gliederung des Gebietes in Tageseinstände, Vorsammel-/Zwischenlandeplatz und Schlafplatz (PRANGE 1989) wurde erst seit Beginn der 1990er Jahren registriert (Abb.1).
In dieser Zeit lagen die Rastmaxima meist zwischen 1500 und 3500 Ex.; Max.: 17.11.1992 ca. 6000 Ex. (D. KEIL).

Seit 1996 ist ein weiterer kontinuierlicher Anstieg der Zahl rastender Vögel zu verzeichnen, deren durchschnittliche Maximalwerte sich im Vergleich zur vorherigen Pentade nahezu verdoppelten.



Besonders ab 1998 hielten sich über längere Zeit (mehrere Wochen) 2000-4500 Ex. in der Goldenen Aue auf, deren Zahl sich nach starken Einflügen kurzzeitig auf mehr als 10 000 Vögel erhöhte, Max.: 20.10.2000 10 264 Ex. (K. WIECHMANN). Seit dem Jahr 2000 wird diese Größenordnung alljährlich erreicht. In zwei Jahren wurden nahezu 40.000 Kraniche gezählt (02.11.2006: 39161 Ex. WIECHMANN HOHL; 23.10.2008: 39820 Ex. WIECHMANN), die jedoch jeweils nur eine Nacht am Stausee verweilten (Abb.2). Gegenwärtig hat der Rastplatz am Helmestausee überregionale Bedeutung erlangt und stellt einen wichtigen Trittstein auf dem Zug zu den nächstgelegenen Plätzen in Nordfrankreich dar.

Die Nutzung der Goldenen Aue als Rastgebiet während des Frühjahrsdurchzuges erfolgt in bedeutend geringerer Intensität. So verweilen nur kurzzeitig kleinere Trupps, wobei ein Trend zu höheren Zahlen und längerem Aufenthalt zu erkennen ist. In den letzten Jahren (2006, 2008) deuten die Meldungen sogar auf Überwinterungen hin. Ursachen für die oben geschilderte Entwicklung am Helmestausee sind die gestiegenen Brutbestände in Nordost-, Nord- und Mitteleuropa sowie eine Südverlagerung und ein enormes Anwachsen der Kranichzahlen auf der westeuropäischen Zugroute (Abb.3) gesehen (PRANGE 2009). Dabei wird geschätzt, dass ein knappes Drittel der Population dieses Zugweges, also etwa 75.000 Vögel unser Gebiet berührt.


2. Ornithologische Betreuung des Rastplatzes


2.1. Schlafplatzzählungen



Die Anzahl der täglich im Gebiet anwesenden Kraniche ist eine wichtige Kenngröße zur Beurteilung der Zug- und Rastdynamik im Gebiet und der überregionalen Bedeutung des Rastplatzes innerhalb des westeuropäischen Zugweges und dient gleichzeitig als entscheidender Steuerparameter bei der Beschickung der Ablenkfütterung (Abb.4). Deshalb wird versucht, täglich die Zahl der zum Schlafen in den abgelassenen Stausee einfliegenden Kraniche möglichst genau zu erfassen. Dabei wird nach einheitlicher Zählmethodik und wegen des guten Überblicks über den gesamten Schlafplatz von zentralen Beobachtungspunkten wie der Numburgscheune oder dem Beobachtungsturm am Seglerhafen ausgezählt (Abb.5). Die gewonnenen Daten gehen in die zentrale Auswertung des jährlichen Kranichzuges durch die Arbeitsgruppe Kranichschutz Deutschland ein.


2.2. Habitatnutzung

Eine weitere wichtige Information zur Beurteilung des Geschehens im Rastgebiet und der potentiellen Fraßschäden durch Kraniche ist das Ausmaß der Nutzung der verschiedenen Kulturen durch die Vögel. Dazu wird versucht, über die gesamte Saison möglichst regelmäßig das Gebiet zu befahren und alle Kranichtrupps auf den jeweiligen Tageseinständen zu kartieren. Hierzu werden die wichtigsten Straßen systematisch abgefahren und ein Netz exponierter Punkte immer wieder aufgesucht.
Die meisten Kraniche halten sich tagsüber auf Weizenfeldern auf, wo sie in der Regel intensiv fressen (Abb.6). Je nach Ernte- und Bestellsituation stehen von Jahr zu Jahr in unterschiedlichem Flächenanteil und variierender Zeitdauer Maisstoppel-Schläge zur Verfügung. Die Nutzung dieses Flächentyps nimmt -wenn auch mit deutlichem Abstand- den zweiten Rang ein. Hier werden die energiereichen Maiskolben, die z.T. als Ernteverluste auf den Acker verbleiben, gefressen. Die dritthäufigste Nutzung wurde für Grünland festgestellt. Dort sind die Vögel meist beim Putzen oder Ruhen zu sehen, gehen aber offenbar auch der Nahrungssuche nach.


2.3. Raumnutzung

Die detaillierte Erfassung der raumzeitlichen Aktivitätsmuster der Kraniche liefert Aufschlüsse über Verhalten, Aktionsradius, Fressgewohnheiten, mögliches Schadensausmaß und die betroffenen Landwirtschaftsbetriebe.
Bietet die Ablenkfläche kein Futter mehr oder in der Hauptrastzeit nicht ausreichend Platz, insbesondere aber bei Störungen, beginnen die Trupps die umliegenden Agrarflächen nach Nahrung abzusuchen. Dabei werden frisch bestellte Weizenschläge schnell gefunden und in den ersten Tagen nach der Aussaat massiv frequentiert.
Die Tageseinstände konzentrieren sich auf das Gebiet der Goldenen Aue in der Umgebung des Helmestausees (Abb.7).
Die Areale auf dem Territorium von Sachsenanhalt östlich des Stausees werden scheinbar in etwas geringerem Umfang aufgesucht als die Thüringer Flächen. Die Hänge südlich und nördlich der Aue werden praktisch nicht von Kranichen besucht. Die entferntesten Beobachtungen äsender Kranichtrupps erfolgten in Richtung Westen bei Windehausen und östlich bei Sittendorf. Damit wird ein Aktionsradius von 9 km um den Schlafplatz markiert.
In den letzten Jahren gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass auch bislang nicht bekannte Areale, wie etwa die Felder auf den Höhen der Badraer Schweiz südlich des Stausees oder die Flur östlich von Sittendorf von Kranichen aufgesucht werden.


2.4. Ringablesungen

Nicht allein die Möglichkeit, Zugwege innerhalb größerer Areale erforschen zu können, macht die Methode der Ringablesung so interessant für die aktuelle Kranichforschung.



In einer Zeit großer Dynamik im gesamten Zuggeschehen der Art in Europa gilt die besondere Aufmerksamkeit schnellen Veränderungen bei der Nutzung der verschiedenen Korridore und Teilrouten durch Vögel aus den einzelnen Brutgebieten.

In diesem Zusammenhang finden auch in der Goldenen Aue farbberingte Kraniche immer besondere Beachtung. Danach wird der am südlichen Rand des Zugkorridors gelegene Helmestausee zu einem großen Teil von baltischen und nordostrussischen Brutvögeln überflogen. Daneben sind vor allem Brutvögel aus dem Mitteldeutschen Raum (Uckermark) vertreten, die wegen der intensiven Beringungstätigkeit der Arbeitsgruppe um Dr. Henne zahlenmäßig stark dominieren (Abb.8).

Die hochinteressanten, aus zahlreichen Ablesedaten zusammengesetzten Biographien einzelner Tiere zeigen aber auch, dass diese fluggewaltigen Vögel von Jahr zu Jahr ihre Zugroute wechseln können und einmal über Ostdeutschland, dann wieder über Niedersachsen oder Hessen ziehen.

Mitunter war es möglich, einzelne Kraniche über einen Zeitraum hinweg mehrfach im Gebiet nachzuweisen. Daraus lassen sich vorsichtige Schlüsse auf die Aufenthaltsdauer ziehen.
Nachfolgend einige Beispiele:
2003: ein Kranich nach 30 Tagen wieder beobachtet, ein Kranich in 27 Tagen sechsmal beobachtet, ein Kranich in 22 Tagen fünfmal beobachtet und zwei weitere Kraniche nach je 14 Tagen nachgewiesen.
2005: ein Kranich über einen Zeitraum von 40 Tagen viermal beobachtet und ein Kranich nach 20 Tagen erneut gesehen.

Auch die Suche nach besenderten Tieren verspricht künftig - bei steigender Zahl angebrachter Sender - immer aussichtsreicher zu werden. So konnte H.E. Hohl im Herbst 2005 zwei Kraniche aus Estland telemetrisch orten (Abb.9).


3. Ablenkfütterung

Regelmäßig wurde in den letzten Jahren ein Maximum von über 10.000 Kranichen im Kelbraer Stausee festgestellt. Wenn eine solch hohe Anzahl Kraniche mehrere Wochen im Gebiet verweilt, entsteht ein beträchtlicher Nahrungsbedarf. Diesen stillen die Vögel normalerweise auf den Feldern der Umgebung. Dabei nehmen sie besonders gern noch ungekeimte Getreidekörner auf. Dies können Ernterückstände auf Stoppelfeldern (Mais, Getreide) oder frisch ausgebrachtes Saatgut sein. Das Fressen auf der Stoppel verursacht keinerlei Schaden und wird von den Landwirten toleriert. Ein großes Problem stellt allerdings die Tatsache dar, dass die Hauptrastzeit der Kraniche mit der Herbstbestellung des Winterweizens zusammenfällt. Regelmäßig suchen die Trupps die frisch eingesäten Felder auf, um dort ausgiebig zu fressen, wodurch Fraßschäden entstehen. Dies stößt auf massive Kritik der betroffenen Landwirtschaftsbetriebe, die erhebliche Ertragseinbußen fürchten. Wiederholt wurden Forderungen nach Entschädigungszahlungen laut. Bei aller Freude der Naturschützer in Thüringen über die steigende Bedeutung des Rastplatzes sollte nicht vergessen werden, dass ohne Konsens mit den Landwirten wirksamer Naturschutz in der offenen Landschaft nur schwer möglich ist. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, Ablenkfütterungen zur Verminderung der Fraßschäden durch Kraniche einzuführen. Aus Mitteln des Programmes zur Förderung von Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege in Thüringen (NALAP) wurde ein entsprechendes Projekt ins Leben gerufen. Dabei wird auf mehreren Grünlandflächen Körnermais oder Weizen breitflächig ausgebracht (Abb.10). Die Beschickung der Flächen erfolgt von Mitte Oktober bis Mitte November. In diese Zeit fällt der Schwerpunkt der Winterweizenbestellung mit der Hauptrastperiode der Kraniche zusammen.




4. Störungen

Das Problem der Störungen durch Naturtouristen, Fotografen und Spaziergänger hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschärft (Abb.11).

Regelmäßige Medienberichte locken immer mehr Interessenten auch aus entfernteren Regionen an. Die Touristik-Branche unterstützt diesen Trend leider nach Kräften. Die hieraus resultierenden Probleme wurden wiederholt geschildert.

Die Möglichkeiten ehrenamtlichen Handelns erlauben keine wirksamen Gegenmaßnahmen,
so dass nochmals der Appell an alle zuständigen Behörden ergeht,
nach Lösungswegen zu suchen.


5. Besucherlenkung

Zur Verringerung von Störungen im Schutzgebiet scheinen Maßnahmen zur Besucherlenkung dringend erforderlich. Beispiele von anderen Rastplätzen zeigen gute Erfolge. Allerdings ist dazu ein gewisser Aufwand an Personal und Mitteln nötig.

Mit der Aufstellung des Beobachtungsturmes am Seglerhafen (Abb.12) wurde ein erster, sehr erfolgreicher Schritt getan, dem weitere folgen müssen.

Wir bitten daher an dieser Stelle
alle Besucher des Gebietes,
die rastendenden Vögel
nicht zu beunruhigen!



ECKEHARD HÖPFNER



Literatur:

PRANGE, H. u. Mitarbeiter (2009):
Das Kranichjahr 2009,
AG Kranichschutz Deutschland,
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Projektgruppe Kranichschutz Nordhausen
(1996-2008): Sachstandsberichte

WAGNER, M. u. J. SCHEUER (2003):
Die Vogelwelt im Landkreis Nordhausen
und am Helmestausee



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